Ganzheitliches Selbstmanagement – die beste Vorbeugung gegen das »Burnout-Syndrom«


Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland hält an und gewinnt an Tragfähigkeit. Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind prall gefüllt, die Produktion läuft auf vollen Touren. Zahlreiche Führungskräfte, die zu uns nach Lautrach kommen, bestätigen diesen Trend. So erfreulich die gegenwärtige konjunkturelle Hochphase ist, sie hat auch ihre Schattenseiten, denn allerorten sind die Ressourcen so knapp wie lange nicht mehr. Es fehlen Rohstoffe oder Zulieferteile – und es fehlen Menschen, zumal auch der Markt für qualifiziertes Personal leer gefegt ist. So läuft der Motor in den Unternehmen und bei den einzelnen Mitarbeitern permanent auf voller Drehzahl – und droht zu überhitzen. Besonders betroffen sind die Führungskräfte, deren Aufgabe es ist, mit den vorhandenen Ressourcen immer ehrgeizigere Ziele zu erreichen. Zu den steigenden Leistungsanforderungen seitens der Arbeit- und Auftraggeber gesellt sich in der Regel der persönliche Ehrgeiz und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sich »überdurchschnittlich« zu engagieren, bis an die Schmerzgrenze zu gehen und notfalls auch darüber hinaus. Wer dabei nicht achtsam ist und bewusst gegensteuert, gerät früher oder später in den Sog des »Burnout-Syndroms«. Den Begriff prägte vor mehr als 30 Jahren der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger. Er bezeichnete damit einen berufsbezogenen, chronischen Erschöpfungszustand, ausgelöst durch hohe Belastung am Arbeitsplatz über einen längeren Zeitraum hinweg, permanente Überforderung und einen Mangel an ausreichenden Erholungsphasen.

Die Symptome des Burnout sind zahlreich und vielfältig. Sie reichen von körperlichen Dysfunktionen (z.B. Kopfschmerz, Verdauungs- und Schlafstörungen, chronische Müdigkeit...) über eine zunehmende Depersonalisierung (Zynismus, Gleichgültigkeit, Antriebslosigkeit, »Funktionieren wie ein Roboter«, sozialer Rückzug) bis hin zur totalen emotionalen Erschöpfung (Sinnlosigkeitsgefühle, existentielle Verzweiflung, Suizid). Entsprechend aufwändig ist die Behandlung. Wird die Krankheit in einem frühen Stadium erkannt und ernst genommen, kann eine drei- bis vierwöchige Phase strikter Erholung zur Regeneration ausreichen, häufig ist jedoch ein stationärer Aufenthalt in einer psycho-somatischen Klinik und eine längere psychotherapeutische Begleitung notwendig, um die verlorene Lebensenergie wieder zu gewinnen. Wie bei allen Krankheiten gilt auch beim Burnout-Syndrom: Vorbeugen ist besser als Behandeln. Weil jeder Mensch so einzigartig ist wie die Lebenssituation, die er zu bewältigen hat, gibt es dafür keine Patentrezepte, wohl aber einen Orientierungsrahmen. Die folgenden Überlegungen sind so zu verstehen. Sie richten sich an Führungskräfte, die sich selbst und anderen ihre Lebenskraft und Lebensfreude dauerhaft erhalten möchten.

Herausfinden, was mir wirklich wichtig ist im Leben
Führungskräfte, die sich über längere Zeit hinweg einer hohen beruflichen Belastung ausgesetzt sehen, erleben sich meist als weitgehend fremd gesteuert. Sie agieren nicht mehr, sondern reagieren lediglich auf immer neue Anforderungen von außen, versuchen immer neue Brände zu löschen und Krisenherde zu ersticken. Was sie selbst wollen, was ihnen als Mensch und als Führungskraft wichtig ist, was ihnen persönliche Befriedigung verschafft oder das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun, einen wertvollen Beitrag für andere zu leisten – all das gerät mehr und mehr aus dem Blick. Sie empfinden sich nicht mehr als Steuerleute ihres Lebens, sondern treiben wild rudernd im reißenden Strom des beruflichen und persönlichen Alltags dahin – in der Hoffnung, irgendwann einmal wieder in ruhigeres Gewässer gespült zu werden. Wenn wir unser Leben nicht dem Zufall und glücklichen Umständen überlassen möchten, bleibt uns nur eines: Immer wieder aus dem operativen Fluss des Alltags auszusteigen und herauszufinden, was für uns wirklich wichtig ist im Leben. Nur wenn wir uns von Zeit zu Zeit bewusst machen, was uns letztlich Halt gibt, welche Werte uns tragen, wie wir heute und morgen leben wollen, werden wir die Kraft aufbringen, entsprechend zu handeln. Es geht um nichts weniger als um die Entwicklung und Pflege unserer eigenen Vision von einem erfüllten Leben.

Vom brasilianischen Bischof und unermüdlichen Streiter für die Menschenrechte Dom Hélder Camara stammt der Satz: »Wer keinen Mut zum Träumen hat, der hat auch keine Kraft zum Kämpfen«. Und Kämpfe werden nicht ausbleiben, wenn wir unsere Vision mit der Realität des Alltages in Kontakt bringen. Die zahllosen Anforderungen von außen stehen nicht immer in Einklang mit unseren inneren Bedürfnissen oder Zielen. Wir können nicht alles (gleichzeitig) haben und sind permanent aufgefordert, uns zu entscheiden. Doch wer wirklich weiß, was er will, wer ein klares »Ja« zu jemandem oder etwas sagen kann, dem wird es auch gelingen, klare Handlungsprioritäten zu setzen und gegebenenfalls auch einmal entschieden »Nein« zu sagen. Und wer wirklich weiß, was er will, der findet auch die Kraft, anstrengende Aufgaben zu meistern und Durststrecken zu überwinden. Freilich, für die Suche nach dem, was uns wirklich wichtig ist im Leben, brauchen wir Zeit und einen Rückzugsraum, in dem wir ungestört nachdenken können über unsere Vision von einem erfüllten Leben. Doch der Aufwand lohnt sich, denn »echte Erfüllung ist der beste Schutz vor dem Burnout« (Dr. Dr. Alfried Längle).

Die richtige Balance im Leben finden
Um unsere Suche nach dem, was uns wirklich wichtig ist im Leben, zu konkretisieren, empfiehlt sich der Blick auf die zentralen Lebensbereiche:

  • Leistung | Beruf
  • Familie | soziale Kontakte
  • Körper | Gesundheit
  • seelisch-geistiges Wachstum
     

Alle vier Bereiche stehen zueinander in Wechselwirkung und verlangen nach einer sinnvollen Balance. Verkümmert ein Ast unseres Lebensbaumes, gerät früher oder später die gesamte Statik aus dem Gleichgewicht und wir werden anfällig gegen Stürme und Krankheitserreger. Die meisten Menschen wissen oder ahnen dies, doch in der Praxis richten wir unsere Lebensenergie einseitig aus. Die Erfahrung aus entsprechenden Seminaren zeigt, dass es vielen Führungskräften relativ leicht fällt, für den Bereich »Leistung | Beruf« eine kraftvolle Vision und konkrete Lebensziele zu formulieren – entsprechend hoch ist in der Regel ihr berufliches Engagement und der Anteil an investierter Lebenszeit. Für die Bereiche »Familie | soziale Kontakte« sowie »Körper | Gesundheit« sieht das bereits anders aus; zwar ist den meisten grundsätzlich bewusst, dass und wie wichtig diese Lebensbereiche sind, doch faktisch werden die Prioritäten anders gesetzt. Dabei geht es sowohl um Qualität wie auch um Quantität: 20 Minuten, in denen ich voll präsent bin, können für eine Beziehung viel mehr wert sein als drei Stunden, in denen ich zwar physisch anwesend, aber in Gedanken ganz woanders bin.

Gerade Führungskräfte sollten darauf achten, sich mit dem Qualitätsargument (»Ich habe zwar viel zu wenig Zeit für meine Familie, aber wenn ich da bin, schöpfe ich unheimlich viel Kraft«) nicht selbst in die Tasche zu lügen: Wer keine Zeit investiert, erhält zumindest auf Dauer auch keine Qualität; der Lebensast wird verkümmern. Und auch das ist eine Erfahrung: Was einmal verkümmert ist, lässt sich nicht so leicht wiederbeleben. Die Hürde, einen alten Freund wieder einmal anzurufen, ist um so höher, je länger der letzte Kontakt zurückliegt, und der Vorsatz, im Frühling wieder mit dem Joggen zu beginnen, ist oft genug Ende Juli noch immer nicht realisiert. Am deutlichsten wird die einseitige Ausrichtung der eigenen Lebensenergie für viele Führungskräfte, wenn sie sich mit dem Bereich »seelisch-geistiges Wachstum« auseinandersetzen. Stelle ich Seminarteilnehmern die Aufgabe, für einen bestimmten Zeitraum, etwa die letzte Woche, zu analysieren, wo und wie sie ihre Lebenszeit investiert haben, bleibt das Blatt im Quadranten »seelisch-geistiges Wachstum« manchmal erschreckend leer. »Wieder nur um andere gekümmert, um die Kinder, die Kollegen, die Erledigung wichtiger und dringender Aufgaben im Beruf und zu Hause – aber Zeit für mich selbst, dafür, ein gutes Buch zu lesen, entspannt Musik zu hören oder selbst zu musizieren, im Garten Unkraut zu jäten, eine Motorradtour zu unternehmen, einfach nur da zu sitzen und zu schweigen... – Fehlanzeige.« Dabei wären gerade diese Zeiten allein mit uns selbst so wichtig – zum einen, um zur Ruhe zu kommen und unsere Kräfte zu regenerieren, zum anderen, um mit uns selbst, unseren Sehnsüchten, Bedürfnissen und Kraftquellen in Kontakt zu bleiben und – hier schließt sich der Kreis – um herauszufinden, was uns wirklich wichtig ist im Leben.

Ferienzeit – Frei-Zeit für Seele, Körper und Geist
Für viele von uns steht der Sommerurlaub vor der Tür – und damit eine Zeit zum Erholen, Regenerieren und Nachdenken. Eine Zeit zum Nachdenken über das, was uns wirklich wichtig ist im Leben und wie wir es (noch besser) verwirklichen können. Für diese Zeit wünsche ich uns,

  • dass wir sie uns nehmen
  • inspirierende Gefühle und Gedanken
  • die Kraft, das, was wir erkannt haben, auch anzupacken.

 


Stephen R. Covey: Die sieben Wege zur Effektivität. Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg. Offenbach 2005 (6. erweiterte und überarbeitete Neuauflage).
Anselm Grün: Leben und Beruf. Eine spirituelle Herausforderung. Münsterschwarzach 2005.
Lothar J. Seiwert: Balance Your Life. Die Kunst, sich selbst zu führen. München 2004.

Ihr Autor & Trainer

MCSL | Dr. Bernhard Nusstein

Berater, Trainer und Coach

Organisationsberater für Führung & Kooperation sowie Trainer & Coach für Führungskräfte und Teams

b.nusstein@mcsl.de | 08394 910 475

 

Dr. Bernhard Nusstein

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