»Wo kämen wir denn da hin, …

… wenn Führungskräfte mehr Fragen stellen würden?«

 

Gute Frage, werden Sie vielleicht denken. Oder schon eine Antwort im Kopf haben: zum Beispiel, dass wir zu mehr und genauerem Wissen kommen würden. Oder zu mehr Ideen und Innovation. Mein Erleben ist allerdings: Führungskräfte stellen wenige Fragen. Wie kommt das und wie kann es gelingen, dass wieder mehr und gute Fragen gestellt werden?

Wir alle werden groß (und schlau) durch Fragen. Etwa 40.000 Fragen stellt ein Kind im Alter zwischen zwei und vier – und erschließt sich so die Welt. Fragend verstehen wir, wie etwas ist und funktioniert und wie nicht. Wirklichkeitserfahrungen könnte man sagen. Und genauso überprüfen wir die eigenen Vorstellungen und Phantasien – welche Möglichkeiten es noch oder anders geben könnte. Was geht uns abhanden auf dem Weg in das Berufsleben? Wie kommt es, dass uns die Freude am Fragen verloren geht? Etwa in der Schule, als Fragen in Form kontrollierenden Abfragens ernst wurden, oder später in der Berufswelt?

Was hält uns vom Fragen ab?

In der Welt der Arbeit und der Unternehmen sind Fragen zu einem Zeichen der Schwäche geworden, verbunden mit Attributen wie: unwissend und dumm, unsicher und orientierungslos, handlungsschwach und zögerlich. Und wenn gefragt wird, dann sind es oftmals Scheinfragen, die der Inszenierung der eigenen Überlegenheit dienen. Der Anspruch an Führungskräfte ist dagegen verbunden mit Stärke und mit Attributen wie: Entscheidungs- und Durchsetzungskraft, Probleme lösen und Sicherheit vermitteln, Richtung und Orientierung geben.

Kann das zusammenpassen?

Zwischen Schwäche und Stärke liegt der Raum der Verständigung und der Möglichkeiten. Konkret: Fragen sind hier Werkzeuge für Sucher und Denkende. Dazu gehört die Bereitschaft, das Ungeklärte zu klären, bisherige Wahrnehmungen zu überprüfen, ggf. zu korrigieren und in bisher nicht erkannte Richtungen zu denken. Stark ist, wer die Grenzen des eigenen Wissens kennt, akzeptiert und offen ist für Suchbewegungen und neue Antworten. In dieser Haltung sind Fragen das passende »Werkzeug«.

Fragen sind in zwei Richtungen unterscheidbar:

  • Information und Analyse: »Wie genau ...?« Solche Fragen differenzieren, zielen nicht auf schnelle, vielmehr auf gründliche Antworten.
  • Reflexion und Perspektive: »Was wäre, wenn ...?« Diese Fragen sind eine Einladung zu neuen Ideen, Verbindungen, Erfindungen etc. und zielen auf Kreativität und neue Lösungsmodelle.

Damit wird klar, was gute Fragen ausmacht. Gute Fragen stellen unsere (Schein-)Gewissheiten auf den Prüfstand, reinigen unseren Wahrnehmungsfilter und führen zu mehr Wissen und Verständnis. Gute Fragen lassen neue Ideen, Entwicklungen, Lösungen und Perspektiven entstehen. Und gute Fragen fördern einen Prozess, der das Miteinander im Team festigt und stärkt.

Im System komplexer Prozesse – VUCA oder BANI sind die beschreibenden Stichwörter – sind Führungskräfte gefordert, Prozesse nachhaltig zu managen. Zugleich sind Erwartungen wie Partizipation und Eigenverantwortung, Transparenz und Sicherheit wirksam. Diese systemische Perspektive beinhaltet zum einen, dass Führungskräften die Grenzen des eigenen Wissens und darauf basierender Entscheidungen erkennen müssen. Zum anderen bietet die systemische Perspektive neue Handlungsräume in Vielfalt und im Miteinander.

Systemisch gesehen sind Fragen Suchbewegungen in komplexen, unübersichtlichen Kontexten; der Werkzeugkasten dafür ist gut bestückt. Beispiele systemischer Fragen sind:

  • Hypothetische Fragen: Erweitern den Horizont mit einer fiktiven Beschreibung – »Angenommen …«, »Stell Dir vor, dass …«
  • Zirkuläre Fragen: Beziehen die Sichtweise einer anderen Person ein – »Wie würde ein Kollege aus der anderen Abteilung das Problem beschreiben?«
  • Skalierende Fragen: Präzisieren allgemeine Aussagen– »Auf einer Skala von 1 – 10: Wie hoch ist die Selbstorganisation im Team?«

Allgemein sollten gute Fragen nicht bedrängend oder suggestiv sein und keinen Rechtfertigungsdruck aufbauen (keine Warum-Fragen). Kurz sollten die Fragen sein und jeweils nur auf ein Thema fokussieren. Und nach der Frage? Wichtig ist dann eine Pause zu lassen, der Antwort Raum geben und vor allem zuzuhören. Das bedeutet, nicht korrigieren, ergänzen, bewerten, sondern im Dialog das Verstehen vertiefen.

Wer fragt, der führt.

Welche Gültigkeit steckt in diesem Sokrates zugeschriebenen Satz? Es stimmt schon: Fragen bestimmen das Thema, setzen den Fokus und den Rahmen der Antwortsuche. Dabei kann der Rahmen bewusst sehr eng oder weit gehalten sein. Das liegt nicht an der Frage an sich. Sondern an der Form und Formulierung, an der Intention des Fragenden. Insofern sind Fragen auch Instrumente der Macht. Diese Macht kann unterschiedlich eingesetzt sein: als Kontroll-Macht oder als Gestaltungs-Macht. Die Gestaltungsmacht setzt auf Neugier, Offenheit und Beteiligung und agiert im Raum der (neuen) Möglichkeiten. Hier sind Fragen Türöffner in der Sache und im Hinblick auf das Vertrauen und die Verbundenheit im Team. Sokrates ´ Satz wird umgekehrt dann ebenso gültig: »Wer führt, der fragt.«

Fragen sind ein effektives Mittel und bieten im Kontext von Führung ein reichhaltiges Repertoire. Dieses mehr zu nutzen, dazu möchte ich Sie ermutigen. Zeigen Sie Stärke und bleiben Sie neugierig, behaupten Sie weniger und fragen Sie mehr. Ermutigen Sie andere dazu, mehr zu fragen und fördern Sie eine Kultur des Fragens.

Wo kämen wir also hin?

Kurt Marti ermutigt, halb fragend und halb antwortend mit seinem bekannten Gedicht:

Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten,
wo kämen wir hin,
und niemand ginge,
um einmal zu schauen,
wohin man käme,
wenn man ginge.

Ihr Autor & Trainer

Organisationsberater sowie Trainer und Coach für Führungskräfte und Teams

Seminare zu den Themen Vertrauen / Selbst- und Menschenführung; Moderation und Begleitung von Teams in Krisen- und Veränderungsprozessen

 

Matthias Kratz

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